Gnade – was ist das eigentlich? In unserem normalen
Sprachgebrauch kommt das Wort kaum vor, im religiösen Sprachgebrauch umso mehr.
Klar, Gnade gehört ausschließlich zu Gott. Aber was ist Gnade? Man kann sie nur
schwer definieren. Im Wörterbuch findet man Begriffe wie „verzeihende Güte,
Barmherzigkeit Gottes, Sündenvergebung“. Das ist schon viel, aber mir reicht
das nicht.
Ich „übersetze“ Gnade gerne mit Liebe. Die ist natürlich
tiefer, größer, mächtiger als jede menschliche Liebe, die ja schon tief und
groß und mächtig sein kann. Aber weil die göttliche Liebe das viel mehr ist,
gibt sie Halt und Sicherheit, Hilfe und Ermutigung.
„Meine Gnade genügt dir“ – so heißt es im zweiten
Korintherbrief. Dieses Wort ist mir im Laufe der Jahre unglaublich wichtig
geworden. Und es gibt mir jenen Halt und jene Hilfe, von der ich gerade
gesprochen habe – in jeder Beziehung, in jeder Situation, mögen sie noch so
bedrängend erscheinen.
Bei Katharina Kasper fand ich
dieses Wort: „O wie viel Gutes können
wir wirken mit Gottes Gnade, wenn wir treu mitwirken mit seiner Gnade.“
(Brief 120) Diesen Brief schreibt sie 1887 an Schwester Marzella. Er erreicht
die Schwester in Kerpen, wo sie seit Juli 1885 Oberin ist. Schwester Marzella
gehört zu den Schwestern, denen es jahrelang durch staatliche Gesetze verwehrt
wurde, ihre Gelübde abzulegen. Im April 1875 eingekleidet, konnte sie erst im
Oktober 1882 zur Profess zugelassen werden. Inhaltlich streift das Schreiben
Fragen aus dem Alltag der Schwestern in Kerpen, die die Generaloberin Katharina
Kasper mit Aussagen zur Führung eines christlichen Lebens verknüpft. Und dazu
gehört eben auch diese Aussage: „O wie
viel Gutes können wir wirken mit Gottes Gnade, wenn wir treu mitwirken mit
seiner Gnade.“
Wenn Gott uns seine Gnade, seine
Liebe schenkt, dann schenkt er uns alles, denn Gott ist die Liebe. Wenn er sich
uns schenkt, dann kann nichts und niemand uns etwas anhaben, denn seine Gnade,
seine Liebe ist so stark und mächtig, dass alles daran abprallt.
Aber Gott will nichts alleine
tun. Er will, dass wir mittun. Katharina spricht von mitwirken. Und das ist
möglich, weil seine Gnade und Liebe uns die nötige Freiheit schenkt. Aber tun
wir das auch?
Nicht auszudenken, was wir tun
könnten und wie viel Gutes wir tun könnten, wenn wir mit Gottes Gnade treu
mitwirkten …!
STH