Als ich im Noviziat war, empfand ich die Armut an Zeit ganz
stark. Bei irgendeiner Noviziatsschulung sprach die Referentin einmal davon,
„Zeitstaub zu sammeln“. Diese Aussage beeindruckte mich sehr. Von da an
versuchte ich das: die Staubkörner der Zeit, die es immer und jeden Tag gibt,
zu sammeln. Und ich war erstaunt, wie viel Zeit ich plötzlich hatte – Zeit, die
mir persönlich zur Verfügung stand. Noch heute denke ich oft an diese Aussage
und mache trotz aller Betriebsamkeit und trotz allen Stresses die gleiche
Erfahrung.
Katharina Kasper kennt dieses Phänomen auch, und auch sie
sammelt Zeitstaub und nutzt die so geschenkte Zeit. In vielen ihrer Briefe wird
das deutlich, so auch im Brief 9, den sie an ihre Assistentinnen schreibt,
nachdem sie die ersten Schwestern, die nach Amerika gehen, zum Schiff begleitet
hat.
Das Schiff fuhr in Le Havre ab, das ist in Belgien. Eine
Fahrt nach Le Havre ist 1868 schon eine abenteuerliche Angelegenheit. Man ist
da mehrere Tage unterwegs. Es gibt ja noch keine ICEs, und die Verbindungen der
Züge, die es gibt, sind auch nicht gerade die besten. Aber Katharina sammelt
Zeitstaub und nutzt die Zeit: Sie besucht die Konvente, die auf dem Weg liegen
und gibt den Schwestern, die bald auswandern werden, damit auch die
Gelegenheit, sich zu verabschieden.
Denn das ganze ist ja schon ein einschneidendes Ereignis.
Ja, die Schwestern haben sich freiwillig gemeldet. Aber was das wirklich
bedeutet, wird ihnen vielleicht erst nach und nach klar. Und doch: keine
Tränen, bis zur definitiven Abreise. Und Katharina? Sie lässt – entlässt ja
acht ihrer Töchter in eine ungewisse Zukunft, in der sie nicht an ihrer Seite
sein kann.
„Als wir nun am Hafen
uns verabschiedeten, versprachen wir denn, sie am Meere noch mal zu begrüßen,
wo sie den priesterlichen Segen von mehreren Priestern noch mal empfingen, und
dann mussten die Schwestern singen: Geleite durch die Wellen, und dann ging es
in die offene See, und die armen Kinder durften weinen. Aber … welch ein
rührender Anblick, das große Meer, die furchtbaren Wellen, das rasche Entfernen
des Schiffes. Die armen Schwestern waren nicht mehr zu sehen. Jetzt durfte auch
ich weinen und sah dem Schiff nach, solange als wir es sehen konnten.“
(Brief 9)
STH