Katharina adlergleich

Katharina adlergleich
Vergiss nicht, dass du Flügel hast ...

Samstag, 18. Juli 2015

Zeitstaub sammeln

Als ich im Noviziat war, empfand ich die Armut an Zeit ganz stark. Bei irgendeiner Noviziatsschulung sprach die Referentin einmal davon, „Zeitstaub zu sammeln“. Diese Aussage beeindruckte mich sehr. Von da an versuchte ich das: die Staubkörner der Zeit, die es immer und jeden Tag gibt, zu sammeln. Und ich war erstaunt, wie viel Zeit ich plötzlich hatte – Zeit, die mir persönlich zur Verfügung stand. Noch heute denke ich oft an diese Aussage und mache trotz aller Betriebsamkeit und trotz allen Stresses die gleiche Erfahrung.

Katharina Kasper kennt dieses Phänomen auch, und auch sie sammelt Zeitstaub und nutzt die so geschenkte Zeit. In vielen ihrer Briefe wird das deutlich, so auch im Brief 9, den sie an ihre Assistentinnen schreibt, nachdem sie die ersten Schwestern, die nach Amerika gehen, zum Schiff begleitet hat.

Das Schiff fuhr in Le Havre ab, das ist in Belgien. Eine Fahrt nach Le Havre ist 1868 schon eine abenteuerliche Angelegenheit. Man ist da mehrere Tage unterwegs. Es gibt ja noch keine ICEs, und die Verbindungen der Züge, die es gibt, sind auch nicht gerade die besten. Aber Katharina sammelt Zeitstaub und nutzt die Zeit: Sie besucht die Konvente, die auf dem Weg liegen und gibt den Schwestern, die bald auswandern werden, damit auch die Gelegenheit, sich zu verabschieden.

Denn das ganze ist ja schon ein einschneidendes Ereignis. Ja, die Schwestern haben sich freiwillig gemeldet. Aber was das wirklich bedeutet, wird ihnen vielleicht erst nach und nach klar. Und doch: keine Tränen, bis zur definitiven Abreise. Und Katharina? Sie lässt – entlässt ja acht ihrer Töchter in eine ungewisse Zukunft, in der sie nicht an ihrer Seite sein kann.

„Als wir nun am Hafen uns verabschiedeten, versprachen wir denn, sie am Meere noch mal zu begrüßen, wo sie den priesterlichen Segen von mehreren Priestern noch mal empfingen, und dann mussten die Schwestern singen: Geleite durch die Wellen, und dann ging es in die offene See, und die armen Kinder durften weinen. Aber … welch ein rührender Anblick, das große Meer, die furchtbaren Wellen, das rasche Entfernen des Schiffes. Die armen Schwestern waren nicht mehr zu sehen. Jetzt durfte auch ich weinen und sah dem Schiff nach, solange als wir es sehen konnten.“ (Brief 9)

STH