Von
Freiheit war letztes Mal die Rede, und dass Menschen, die ihr Adler-sein leben,
innerlich frei sind. Katharina Kasper ist so ein Mensch. Ihre innere Freiheit
äußert sich auf vielfältige Weise. Ein Beispiel will ich hier erzählen.
Kirchlich
anerkannte Gemeinschaften wie die ADJC ordnen ihr Leben nach festen Regeln.
Solche Strukturen räumen allen die gleichen Rechte ein und auferlegen jedem Mitglied
der Gemeinschaft die gleichen Pflichten. Dadurch geben sie Halt und wirken als
Entscheidungshilfe für die Leitung. Das gilt vor allem für die Ordensausbildung.
Katharinas Richtschnur
ist es, nach dem Willen Gottes zu fragen und dementsprechend zu handeln. Von
daher stand die Anerkennung der Regel für sie außer Frage. In ihr sah sie einen
Ausdruck des göttlichen Willens. Umso überraschender ist ihr Verhalten im Fall
Schwester Willeyka, der wohl als einmalig in der Geschichte der Gemeinschaft gewertet
werden muss.
Sr. Willeyka
– sie stammt aus Böhmen - ist eine Novizin. Sie wird schwerkrank. Katharina
schickt sie nur schweren Herzens fort. Sie mag die Novizin nicht nur, sie ist
auch davon überzeugt, dass sie zum Ordensleben berufen ist. Katharina schickt
sie nach Hause zurück, überzeugt davon, dass sie dort wieder gesund werden
würde.
Und jetzt
kommt das Ungewöhnliche! Katharina gestattet ihr, im Ordenskleid nach Böhmen zu
reisen – undenkbar für eine entlassene Schwester. Katharina geht noch weiter.
Da Sr. Willeyka keine Familie und kein Zuhause mehr hat, soll sie bei den
Schwestern bleiben, bis sie eine Möglichkeit zu leben gefunden hat. Auch
während dieser Zeit darf sie das Ordenskleid tragen, und sie darf – damals
unvorstellbar, dass Nicht-Ordensfrauen das tun! – an den gemeinsamen Gebeten
teilnehmen.
Jetzt
fragen Sie mit Recht, warum Katharina die Schwester wegen einer Erkrankung
fortgeschickt hat. Eigentlich ist das einfach zu erklären. Als die Novizin ihre
Gelübde ablegen muss, ist sie wegen ihres instabilen Gesundheitszustandes den
Anforderungen der Gemeinschaft, die karitativ tätig ist, nicht gewachsen. Nach
ihrer Profess darf man wegen Krankheit nicht entlassen werden. Deshalb muss
Katharina eine Entscheidung treffen. Erlaubt sie der Kranken, die Gelübde
abzulegen, so läuft sie Gefahr, dass diese auf Dauer sich selbst und der
Gemeinschaft zur Last wird. Diese Tatsache macht eine Zulassung der Schwester
zu den Gelübden nahezu unmöglich, führt aber zu der geschilderten Regelung.
Die
Generaloberin aber hört in dieser Situation auf
ihre innere Stimme und findet einen ungewöhnlichen Ausweg. Ihre enge
Verbundenheit mit Gott macht es ihr möglich, in dieser Freiheit mit den Regeln
umzugehen. Und die weitere Geschichte gibt ihr Recht. Sr. Willeyka erholt sich
in der Heimat. Katharina erwirkt eine Dispens von Rom, damit sie in Böhmen –
also fern vom Mutterhaus - ihre Gelübde ablegen kann. 1925 – das erlebt aber
Katharina nicht mehr – wird sie Oberin der böhmischen Provinz. Die musste die Gemeinschaft
auf Druck der Tschechen errichten; die Leitung mussten Schwestern tschecheslowakischer
Herkunft sein, um die Vertreibung der Gemeinschaft aus dem Gebiet zu
verhindern. Auf diese Weise können die ADJC noch 20 Jahre in Böhmen wirken, bis 1945 alle
Deutschen aus Böhmen ausgewiesen werden. Nach dieser Vertreibung der Schwestern
kommt Sr. Willeyka nach Limburg. Hier stirbt sie 1950 im Alter von 82 Jahren.
Katharinas
innere Freiheit, mit der sie sich ganz dem Willen Gottes überlassend über
vorgegebene Begrenzungen hinwegsetzt, hat der Gemeinschaft eine große Frau
geschenkt.
STH