Katharina adlergleich

Katharina adlergleich
Vergiss nicht, dass du Flügel hast ...

Samstag, 14. September 2013

Nicht immer kapiert das verlorene Schaf

Von dem verlorenen Schaf ist am Sonntag die Rede. „Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert“, so fragt Jesus, „lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Steppe zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet?“ (Lk 15,4) Hand aufs Herz: Würden Sie wirklich so handeln? Würden wir nicht tausend Entschuldigungen finden, warum das nicht möglich ist? Schließlich ist dieses Schaf ja wahrscheinlich selber daran schuld, dass es vom Weg abgekommen ist. Und man kann die anderen Schafe ja nicht einfach irgendwelchen Gefahren aussetzen, wenn sie ohne Hirte bleiben.

Katharina Kasper hat sich oft und oft als gute Hirtin gezeigt – wobei  sie zuweilen das Risiko einging, dass ihre Großzügigkeit wirkungslos an der Dickfelligkeit eines „verloren Schafes“ abprallte. Da kann man viele, viele Beispiele anführen.

In einem solchen Falle ging es einmal um ein Stückchen Land mit dem „Flächengehalt von 150 Schuh“. Das ist wirklich nicht viel. Wegen dieses winzigen Stückchens Erde wurden drei Briefe verfasst, und zwar einer an einen Rechtsanwalt, einen an den Nachbarn, der das Kloster wegen dieses Fleckens angegriffen hatte, und einen an das Bischöfliche Ordinariat in Limburg.
In dem ersten Brief versichert die Generaloberin dem Rechtsanwalt ihres Nachbarn, dass das Kloster 1878 dem Besitzer des Grundstückchens „um den Preis von 54 Mark abgekauft“ habe. Dann fährt sie fort:  „denn es konnte uns doch nicht in den Sinn kommen, auf fremdem Eigentum eine kostspielige Mauer aufführen zu lassen.“ Als Zeugin für den Kauf nennt sie noch die Ehefrau des inzwischen verstorbenen Eigentümers.
Doch der Schwiegersohn dieser Nachbarin gibt sich mit der Erklärung nicht zufrieden, sondern verlangt, dass das Kloster die Mauer abreiße. Wohl durch andere Bewohner Dernbachs veranlasst, erklärt er zwar später, die Mauer dürfe stehenbleiben, doch ist er nicht bereit, dies dem Kloster schriftlich zu erlauben. Da Katharina aber aus manchen Begegnungen weiß, dass „verlorene Schafe“ manchmal unvermittelt ihre Meinung ändern, verzichtet sie nicht auf die schriftliche Erklärung, sondern lässt die Mauer entfernen. Dem Nachbarn teilt sie jedoch mit: „Indem wir Ihnen dieses hierdurch anzeigen, können wir nicht umhin, zugleich gegen diesen uns auferlegten Zwang Protest zu erheben, da wir die volle Überzeugung haben, daß die uns von Ihnen streitig gemachte Parzelle seiner Zeit gekauft und bezahlt worden ist und müssen es Ihrem Gewissen überlassen, über diesen Schritt nachzudenken.“ Das ist im Juni 1896.
Ein halbes Jahr später errichtet der Nachbar dicht neben dem Kloster einen Neubau, ohne jedoch die freigewordene Parzelle für den Bau zu nutzen. Da er sich wohl bewusst ist, nicht den nötigen Abstand zum Kloster zu wahren, ersucht er das  Bischöfliche Ordinariat, für ihn Katharinas Zustimmung zu seinem Projekt zu erwirken. Katharina Kasper erteilt die erbetene Erlaubnis bereitwillig, äußert aber in ihrem Antwortschreiben ihr Erstaunen darüber, dass der Nachbar „keinen Anstand nimmt, auch den neben der Kloster-Ökonomie in einer Breite von ca 0,80 Meter sich hinziehenden Streifen, der 18 Jahre hindurch in ungestörtem Besitze des Klosters und mit einer Mauer versehen, aber nicht überschrieben war, zu seinem Bau mitzubenützen; aber wir können und wollen ihn daran nicht hindern, nachdem wir schon seiner uns angedrohten Klage und seinen für uns unannehmbaren Vergleichungsbestrebungen durch Abbruch der Mauer und Räumung des Platzes aus dem Wege gegangen sind.“

Damals war das sicher nicht so lustig, wie es sich heute liest. Aber dieser kuriose Fall zeigt, dass es Guten Hirten zuweilen selbst mit großer Geduld und Klugheit nicht gelingt, ein „verlorenes Schaf“ zu der Einsicht zu bringen, dass es ein Schaf ist.

STH