Gehören Sie auch zu der Generation, der immer wieder gesagt
wurde: „Du musst ein gutes Beispiel geben.“? Wenn der Vater den Joghurtbecherdeckel
in aller Öffentlichkeit ableckt, dann wird das sein Filius auch tun.
Als ich dann in der Schule tätig war, lernte ich, dass das
wirklich stimmt: Der Sohnemann leckt den Deckel ab – sehr zum Ärger des
Umfeldes. Ich musste aber auch lernen, dass das gute Beispiel nicht nur nicht
nachgeahmt wird; es wird noch nicht einmal wahrgenommen.
Daran muss ich bei dem Evangelium am Sonntag denken. Da
gewährt der Gutsverwalter dem Diener, der ihm eine Riesenmenge Geld schuldet,
den Schuldenerlass und lässt ihn mit einer Mahnung gehen. Der Diener aber
bleibt seinem Kumpel gegenüber, der ihm vergleichsweise wenig Geld schuldet,
gnadenlos. Er lässt ihn sogar ins Gefängnis werfen.
„Worte bewegen; Beispiele
aber reißen fort.“ (Brief 108) Das sagt Katharina Kasper. Sie hat diese
Erfahrung gemacht. Viele junge Frauen, die sie erlebten, nahmen sie sich zum
Beispiel, ließen sich mitreißen und traten in die Gemeinschaft ein.
Im Brief an Schwester Centolla geht es um das Beispiel, das
die Vorgesetzte ihren Schwestern sein soll: „Tragen Sie, meine gute Schwester, recht Sorge … dass immer Friede,
Eintracht und Liebe miteinander geübt wird. Jeden Tag müssen wir anfangen,
fortsetzen, als sei er der erste und der letzte, am Morgen beten, um die Gnade
zu erlangen, welche Sie für sich und Ihre Mitschwestern bedürfen und notwendig
haben ... Worte
bewegen, aber Beispiele reißen fort. " (Brief 65)
Wie wichtig dieses Wort Katharina ist, zeigt sich daran,
dass es noch einmal in ihren Briefen auftaucht – in einem anderen Zusammenhang:
„Wir … beten, arbeiten, pflegen die
Kranken, suchen den Kindern nützlich zu werden und eine gute Erziehung zu
erzielen, besonders aber unsere eigene Heiligung zu erstreben, welches ja auch
das Erste und Notwendigste ist. Worte bewegen ja nur, aber das Beispiel reißt
uns fort. So wollen wir uns denn bemühen, recht fromm … zu leben und zu wirken,
zur größeren Ehre Gottes ... “ (Brief 179) Hier geht es also um die Menschen, die mir anvertraut
sind, die sich an mir orientieren.
„Worte bewegen ja
nur, aber das Beispiel reißt uns fort.“ Diese Erfahrung haben wir sicher
alle schon gemacht: Worte bewirken nicht viel bei den Menschen, die uns wichtig
sind. Im günstigsten Fall lassen sie sich bewegen. Aber die, denen wir ein
Stück Orientierung sein sollen, dürfen, müssen, - die orientieren sich vor
allem an unserem Tun. Denken Sie an Vater und Sohn mit ihrem
Joghurtbecherdeckel.
Vielleicht reißt das Beispiel nicht fort. Aber steter
Tropfen höhlt den Stein. Wir müssen eben Geduld und Liebe haben.
STH