Katharina adlergleich

Katharina adlergleich
Vergiss nicht, dass du Flügel hast ...

Samstag, 6. September 2014

„Keine Kunst ist´s, alt zu werden ...“

Sie kennen diesen Spruch, nicht wahr? „Alt werden will jeder, alt sein will keiner.“ Ich brauchte lange, um den Unterschied zu verstehen. Inzwischen habe ich oft und oft erfahren, wie wahr dieses Wort ist. „Alt werden will jeder ...“ - na klar, wer möchte schon gerne „vor der Zeit“ diese schöne Welt verlassen. „ ... alt sein will keiner“ - auch klar, wem passen schon die eigenen Grenzen, die immer enger gezogen werden, die Krankheiten und Behinderungen, die das Leben plötzlich in wenig sympathischem Licht zeigen? Der alte Goethe hat wieder mal recht: „Keine Kunst ist´s, alt zu werden; es ist Kunst, es zu ertragen.“

Vor kurzem begegnete ich vor dem Mutterhaus einer unserer hochbetagten Schwestern. Sie stützte sich schwer auf ihren Stock. Sehen und Hören kann sie kaum noch. Ich ging nahe zu ihr heran, damit sie mich erkennen konnte. Während des Gespräches sagte sie: „So alt habe ich eigentlich nicht werden wollen ...“ Und ich entgegnete: „Aber Sie sind es, und dann hat es sicher auch einen Sinn.“ - „Das sage ich mir auch immer“, entgegnete sie. „Der liebe Gott will ja wohl, dass ich noch hier bin. Dann wird er auch für mich sorgen.“ Eine solche Haltung findet man selten; sie beeindruckt mich sehr.


Katharina Kasper war ihr Leben lang ein schwächlicher, kränkelnder Mensch, und sie wurde - nach damaligen Begriffen - alt. Sie wusste, wovon sie sprach, wenn sie warnte: „Wenn wir uns ... zu sehr von dem Gedanken und Gefühl leiten lassen, man sei schon alt oder zu kränklich, so ist und bleibt man schwach, alt und armselig und bringt nichts mehr fertig, wenn es noch so gering ist, was wir zu tun haben. Auch sind wir in solchen Zuständen nicht glücklich und zufrieden.“ (Brief 95)

Haben wir nicht alle schon die Erfahrung gemacht, wie unfähig wir zum Leben sind, wenn wir uns gegen eine Krankheit oder eine Begrenzung körperlicher oder seelischer Art auflehnen? Wie viel Kraft und Energie verwenden wir oft darauf, dagegen anzugehen und werden dann tatsächlich krank und schwach und armselig, unfähig, aus unserem selbst gezimmerten Käfig auszubrechen. Wenn es aber gelingt, trotz allem Schwerem Ja zu sagen zu dieser Begrenzung, sie abzugeben in Gottes Hände - er weiß ja um mich -, dann kann man es tragen, und es erscheint einem gar nicht einmal mehr so schwer, und Glück und Zufriedenheit gewinnen Raum in uns.


„ ... wenn es noch so gering ist, was wir zu tun haben“, sagt Katharina Kasper, und damit meint sie sicher: wenn es auch nicht mehr viel ist, was es zu tun gibt, wenn es auch nicht mehr so sehr an die Öffentlichkeit tritt, wie in jüngeren Jahren. Denn es gibt ja nichts, was nicht groß wäre, was man zur Ehre Gottes tut. 

„Alt werden will jeder, alt sein will keiner.“ Sind wir bei dem Wort Alter nicht zu sehr fixiert auf Schwächen, Begrenzungen, Krankheiten? Aber ist Alter nicht viel mehr als das? Da sind die Erfahrungen, da ist die Ruhe und Gelassenheit, da ist die Weisheit vieler Jahre. Da ist der gelebte Glauben, das bestätigte Vertrauen, die erlebte Liebe vieler Jahre. Und all das brauchen wir jüngeren. Und damit hat das Alter einen tiefen Sinn.

„Die Liebe ermüdet nicht und ist in und mit uns wirksam in kranken und in unsern alten Tagen; denn solange wir leben und den Verstand haben, können wir das Gute üben.“ (Brief 95)    

STH