Sie kennen diesen
Spruch, nicht wahr? „Alt werden will jeder, alt sein will keiner.“ Ich brauchte
lange, um den Unterschied zu verstehen. Inzwischen habe ich oft und oft
erfahren, wie wahr dieses Wort ist. „Alt werden will jeder ...“ - na klar, wer
möchte schon gerne „vor der Zeit“ diese schöne Welt verlassen. „ ... alt sein
will keiner“ - auch klar, wem passen schon die eigenen Grenzen, die immer enger
gezogen werden, die Krankheiten und Behinderungen, die das Leben plötzlich in
wenig sympathischem Licht zeigen? Der alte Goethe hat wieder mal recht: „Keine
Kunst ist´s, alt zu werden; es ist Kunst, es zu ertragen.“
Vor kurzem
begegnete ich vor dem Mutterhaus einer unserer hochbetagten Schwestern. Sie
stützte sich schwer auf ihren Stock. Sehen und Hören kann sie kaum noch. Ich
ging nahe zu ihr heran, damit sie mich erkennen konnte. Während des Gespräches
sagte sie: „So alt habe ich eigentlich nicht werden wollen ...“ Und ich
entgegnete: „Aber Sie sind es, und dann hat es sicher auch einen Sinn.“ - „Das
sage ich mir auch immer“, entgegnete sie. „Der liebe Gott will ja wohl, dass
ich noch hier bin. Dann wird er auch für mich sorgen.“ Eine solche Haltung
findet man selten; sie beeindruckt mich sehr.
Katharina Kasper
war ihr Leben lang ein schwächlicher, kränkelnder Mensch, und sie wurde - nach
damaligen Begriffen - alt. Sie wusste, wovon sie sprach, wenn sie warnte: „Wenn wir uns ... zu sehr von dem Gedanken
und Gefühl leiten lassen, man sei schon alt oder zu kränklich, so ist und
bleibt man schwach, alt und armselig und bringt nichts mehr fertig, wenn es
noch so gering ist, was wir zu tun haben. Auch sind wir in solchen Zuständen
nicht glücklich und zufrieden.“ (Brief 95)
Haben wir nicht
alle schon die Erfahrung gemacht, wie unfähig wir zum Leben sind, wenn wir uns
gegen eine Krankheit oder eine Begrenzung körperlicher oder seelischer Art
auflehnen? Wie viel Kraft und Energie verwenden wir oft darauf, dagegen
anzugehen und werden dann tatsächlich krank und schwach und armselig, unfähig,
aus unserem selbst gezimmerten Käfig auszubrechen. Wenn es aber gelingt, trotz
allem Schwerem Ja zu sagen zu dieser Begrenzung, sie abzugeben in Gottes Hände
- er weiß ja um mich -, dann kann man es tragen, und es erscheint einem gar
nicht einmal mehr so schwer, und Glück und Zufriedenheit gewinnen Raum in uns.
„ ... wenn es noch so gering ist, was wir zu tun
haben“, sagt Katharina Kasper, und
damit meint sie sicher: wenn es auch nicht mehr viel ist, was es zu tun gibt,
wenn es auch nicht mehr so sehr an die Öffentlichkeit tritt, wie in jüngeren
Jahren. Denn es gibt ja nichts, was nicht groß wäre, was man zur Ehre Gottes
tut.
„Alt werden will
jeder, alt sein will keiner.“ Sind wir bei dem Wort Alter nicht zu sehr fixiert
auf Schwächen, Begrenzungen, Krankheiten? Aber ist Alter nicht viel mehr als
das? Da sind die Erfahrungen, da ist die Ruhe und Gelassenheit, da ist die
Weisheit vieler Jahre. Da ist der gelebte Glauben, das bestätigte Vertrauen,
die erlebte Liebe vieler Jahre. Und all das brauchen wir jüngeren. Und damit
hat das Alter einen tiefen Sinn.
„Die Liebe ermüdet nicht und ist in und mit uns
wirksam in kranken und in unsern alten Tagen; denn solange wir leben und den
Verstand haben, können wir das Gute üben.“ (Brief 95)
STH